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Abitur 1944: Auf Knien Aufsatz geschrieben

Schule Ein Kriegsjahrgang erinnert sich an eine schwere Zeit / Im Keller Schutz gesucht

Nach der Reifeprüfung wurden die jungen Frauen zum Arbeitseinsatz eingezogen. Sie arbeiteten als Schaffnerinnen oder dienten als Flaghelferinnen.

Von Gerwin Gräfe

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LEER – Hermann Visser, Leiter des Teletta-Groß-Gymnasiums, nahm am Sonnabend bei der Verabschiedung der Abiturienten in der Aula die Perspektive eines Soziologen ein: „Die Schulabgänger hatten es früher einfacher gehabt. Der Mann studierte und erhielt eine gut bezahlte Arbeit, die Frau heiratete und wenn sie arbeitete, dann als Lehrerin.“ Heute sei alles im Fluss, nichts mehr selbstverständlich. „Sie leben auf einem Drahtseil“, rief er den Abiturienten zu. „Viel Glück.“

Die Damen in der dritten und vierten Reihe hörten erstaunt zu. Sichere berufliche Laufbahn? Vorgezeichneter Lebensweg?

„Ich wurde nach dem Abitur zum Arbeitsdienst eingezogen und war in Hamburg Schaffnerin in einer Straßenbahn“, erzählt Ilse Scheckermann. „Ich habe am Radar gesessen und den Flug von Bombern berechnet“, berichtet Ruth Peppmeier.

Ilse Scheckermann und Ruth Peppmeier gehören zu den 13 „Diamantenen Abiturientinnen“, die vor 60 Jahren ihre Reifeprüfung bestanden haben. Damals war noch Krieg. „Ich musste einmal aus dem Zug raus. Fliegeralarm“, erinnert sich Ilse Scheckermann. An einer Böschung hatten damals Zugführer und Fahrgäste Schutz gesucht.

Im Teletta-Groß-Gymnasium wurde in den letzten Kriegsjahren schon nicht mehr unterrichtet. Schulgebäude und Turnhalle dienten als Lazarett. Die angehenden Abiturientinnen gingen zum Unterricht ins benachbarte Ubbo-Emmius-Gymnasium.

Der Unterricht war nach Jungen und Mädchen streng getrennt. „Wir haben den Jungs immer kleine Liebesbriefe zukommen lassen“, lächelt Ruth Peppmeier verschmitzt.

Der Nationalsozialismus hatte auch Einfluss auf den Unterricht genommen. In der Sportstunde musste eine Schülerin immer einen Spruch aufsagen. Irgendeinen kannte jede von ihnen. Ilse Scheckermann hat ihren bis heute nicht vergessen: „Treu, Opferwilligkeit, Verschwiegenheit sind Tugenden, die ein großes Volk nötig braucht.“

Heute lachen sie über das, was einmal bitterer Ernst war. Luise Fischer erzählt vom Thema des Abituraufsatzes: „Wie kann die deutsche Dichtung zur Erringung des Sieges beitragen?“ Sie schrieben ihre Abiturarbeit im Keller des Ubbo-Emmius-Gymnasiums. Sie knieten vor Bänken, die ihnen als Tische dienten. Damals drang der Donner von Bombergeschwadern zur Schule rüber.

28 Schülerinnen des Teletta-Groß-Gymnasiums hatten im Januar 1944 ihr Abitur bestanden. 21 leben noch, 13 waren am Sonnabend dabei, als ihren 60 Jahre jüngeren Nachfolgerinnen die Abiturzeugnisse ausgehändigt wurden: Hanna Bartsch, geb. König, aus Hildesheim, Menette Doedens, geb. Hinrichs aus Leer, Luise Frisch, geb. Stegmann aus Leer, Theda Hedden, geb. Brünink aus Oldenburg, Elisabeth Herkens, geb. Geyken aus Leer, Amoena Hirschfelder, geb. Groenewold aus Breckerfeld, Wilma Jelden, geb. Taute aus Leer, Ruth Peppmeyer, geb. Graepel aus Oldenburg, Anna Schaa, geb. Penning aus Westoverledingen, Ilse Scheckermann, geb. Wiesenkam aus Leer, Swanette Terveer, geb. Busemann aus Weener, Helga Uebel aus Leer und Helene Löw, geb. Norda aus Dörpen.

Aus der Ostfriesen-Zeitung vom 28. Juni 2004, Seite 11

2004-06-30, dh